Schweigen als Selbsterkenntnis


Sehr schnell wird in Gesprächen behauptet, nur wer viel redet, sich unterhält, viele kritische Meinungen austauscht, der kann wirklich im Leben weiterkommen, sich als Mensch entwickeln. Wirklich? Ist das so? Es ist toll, Kontakte zu haben, Freunde zu treffen oder auch viel in der Welt herumgekommen zu sein, doch dies steht nicht im Gegensatz zum Schweigen. Und es soll in diesem Beitrag behauptet werden, man muss auch nicht viel herumgekommen sein, tausende von Freunden haben usf. um sich wirklich als Mensch weiter zu entwickeln.

Denn was passiert nach dem Gespräch? Geht das Gespräch immer weiter? Nein. Hat man nach dem Gespräch oder während des Gesprächs eine Erkenntnis. Ehrlich gesagt, beides ist möglich. Doch, wir entwickeln uns erst wirklich nach einem Gespräch, wenn wir die Stille haben, in uns zu gehen und darüber zu reflektieren, was sich abgespielt hat. Oder auch während des Gesprächs ist es möglich, wenn uns jemand eine andere Meinung, die uns "an den Kopf stößt" bzw. "erschüttert", ja sogar vielleicht zuerst "beleidigt" eine Ruhepause im eigenen Reden verschafft. Hier gibt es auch kurze Momente des Schweigens. Schweigen schiebt sich von unseren "Worthäufchen" unbemerkt zwischen diese und bildet z.B. Pausen, die uns Zeit lassen entweder ein Gespräch erst einmal zu beginnen oder einem anderen Menschen das Wort im Gespräch zu lassen.

Hierbei wenn wir einem anderen das Wort lassen, meint dies zugleich ein Schweigen von uns selbst. Wir lassen nicht nur das Reden Sein, nein, wir lassen von uns selbst ab. Reden und Schweigen bedingen sich also. Wer schweigt der lässt reden. Warum sollte man Schweigen? Es ist doch immer mehr üblich sich mit den besser ausgewählten Worten, mit einer besser "geschliffenen" Rhethorik sich Gehör zu verschaffen und die Meinungen anderer "umzukrempeln"!?

Doch hat man hier nicht die Möglichkeit der eigenen Erkenntnis verpasst? Denn wenn ich einen anderen "über-rede", dann gebe ich ihm nicht die Chance, ganz als Mensch da zu sein und das von sich an uns weiterzugeben. Und somit bin auch ich nicht als Mensch ganz da, denn wenn der andere nicht frei Reden darf, weil ich dazwischen rede, entsteht eine Störung. Diese Störung meint, ich respektiere den anderen in seinem Reden nicht, will eher meiner Meinung mehr Raum verschaffen. Der andere kann nur durch Lauterwerden, Abbruch oder aggressive Handlung versuchen, sich selbst erneut sein Recht auf Rede zurückzuholen. Natürlich könnte er auch einfach Schweigen und zuhören, doch das wäre schon sehr gut :-).

Man könnte also glauben, dass es alleine bedeutend ist, was jemand sagt. Dabei ist es nicht nur entscheidend was jemand genau sagt, sondern eher, dass wir zuhören und erkennen, was neben dem Gesagten uns noch alles "gesagt" wird. Denn nicht nur die Stimme spricht, sondern der Leib des anderen, der vor uns ist ebenfalls.

Schweigen verlangt also von uns im Gespräch eine Antwort auf die Frage des Menschen und seines Leibes: "Gibst du mir Achtung?" Wir antworten dem anderen Leib durch unsere volle Achtsamkeit und unseren Leibausdruck: "Ich gebe dir Beachtung durch meine volle Achtsamkeit". Erst dann ist es gegeben, dass wir andere Menschen als Menschen respektieren, beachten und nicht zuletzt wertschätzen. Erst dann sind wir Menschen und keine Fanatiker, die ihre Ideologie einem anderen Menschen aufzwängen wollen, meist aufgrund der egoistischen Begierde der Ausweitung eigener Macht. Der Mensch sagt sich dann insgeheim: "Ich wollte so gerne, dass auch dieser Mensch meine Gedanken dächte. Wie toll, wie groß wäre es, wenn viele Menschen meine Ideen dächten.."

Schweigen und seine Bedeutung geht also weit über das blosse Feld des "Einfach-Nicht-Redens" hinaus und "nistet" sich immer wieder in Zwischenräume, die vorerst nichts mit Schweigen zu tun haben mögen. Doch bei genauerer Aufmerksamkeit ist es doch ganz anders :-).

Schweigen meint also für mich eine Rücknahme meiner Person, meines Egos, meiner Wünsche und Begierden und was noch alles dazugehört. Durch Schweigen vor anderen Menschen, die mir etwas sagen wollen, erlaube ich es, anderen Menschen als Person von mir anerkannt zu werden und auch mich als Mensch zu bestätigen.

Ich möchte hier gerne ein Zitat eines Zen-Meisters anführen, der genau den fehlgeleiteten Machtanspruch in unserer Kultur auf den Nerv trifft:



"Menschlicher Fortschritt:

Nach all ihren Bemühungen, indem sie ihr Hirn so intensiv wie möglich anstrengte, befindet sich die Menschheit heute doch an einem toten Punkt. Menschen sind Idioten. Wir halten uns für Weise und tun närrische Dinge.

Trotz wissenschaftlichen Fortschritts haben Menschen keine Größe erreicht.

Seit den Anfängen der Geschichte haben Menschen immer gegeneinander gekämpft. Egal wie groß oder klein ein Krieg ist, die Wurzel dafür ist in unseren Köpfen; Diese Köpfe haben einen Hang zum gegenseitigen Anknurren.

Du solltest nicht vergessen, dass die moderne wissenschaftliche Kultur auf der Grund lage niedersten Bewusstseins entstand.

'Zivilisation' heißt das Gerede der Welt. Doch Zivilisation und Kultur sind nichts als die gemeinsame Entwicklung illusorischer Wünsche (Ob Reichtum aller, Wahrheitsfindung, Gott der immer menschliche Züge hat etc.) Egal wie wie viele Winkel illusorischer Wüsche du in deinem Hirn hast, vom Standpunkt des Buddhismus aus werden sie den Menschen nie bedeutenden Fortschritt bringen. "Fortschritt" heißt das Gerede der Welt - doch in welche Richtung schreiten wir fort?" (Rede v. Kodo Sawaki in: Die Zen-Lehre des Lanstreichers Kodo, S. 27)

Spricht er nicht wunderbar "deftig" und "rüttelt" einen auf, wenn man noch vorher von der Überlegenheit von "Bildung" "Reichtum" etc. überzeugt war? ;-)

Genau darum geht es dem obigen Autor. Er will uns leiblich aufrütteln und uns klar machen, indem wir uns und unser "Gerede" nicht so ernst nehmen, können wir auch wieder mehr Liebe durch Schweigen in die Welt bringen.

Lukas